«Nieren sind diskret und zeigen keine spektakulären Symptome»
Die Nieren sind Hochleistungsorgane und sie sind lebenswichtig. François Verrey, Mitglied Stiftungsrat der Schweizerischen Nierenstiftung über Nierengesundheit, Fortschritte in der Forschung und die wichtige Arbeit der Schweizerischen Nierenstiftung.
Der Weltnierentag am 14. März rückt die Nierengesundheit ins Rampenlicht. Wieso brauchen die Nieren mehr Aufmerksamkeit?
Die Nieren sind diskret, verkannt und doch lebensnotwendig. Wenn ihre Funktion abnimmt, leiden die anderen Organe, insbesondere das Herz-Kreislauf-System und das Hirn. Das führt zu einer Einschränkung der Lebensqualität und erhöht das Risiko eines verfrühten Todes. Die Abnahme der Nierenfunktion kann man aber in vielen Fällen verlangsamen oder sogar verhindern.
Welche lebenswichtige Rolle hat die Niere in unserem Körper?
Die Nieren bewahren viele lebensnotwendige Gleichgewichte im Inneren des Körpers, insbesondere der Körperflüssigkeiten. Spezifisch sind die Nieren zuständig für die Ausscheidung von überflüssigem Wasser, von überschüssigem Anteil gelöster Stoffe wie Salz und andere Mineralien, von Abfallprodukten, Toxinen etc. im Urin. Notwendige Stoffe werden dabei zurückgehalten. Dadurch und mittels regulierter Produktion verschiedener Hormone kontrollieren die Nieren den Blutdruck, die Knochendichte, die roten Blutkörperchen und vieles mehr.
Warum werden Nierenleiden oft erst spät erkannt?
Die Nieren haben eine sehr grosse funktionelle Reserve: Praktisch genügt die Funktion einer intakten Niere für ein gesundes Leben, sodass es am Anfang einer chronischen Nierenkrankheit oft keine Anzeichen dafür gibt. Die ersten Symptome kommen schleichend und sind unspezifisch, wie z.B. Müdigkeit, mangelnde Energie, verminderte Konzentrationsfähigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Bluthochdruck etc. Wenn man also die Nierenwerte in Blut und Urin nicht testet, kann man eine chronische Nierenkrankheit lange verpassen.
Gibt es spezifische Symptome, auf die man achten sollte, um mögliche Nierenprobleme frühzeitig zu erkennen?
Mehr als die späten und unspezifischen Symptome sind vorerst die Risikofaktoren zu beachten, insbesondere Diabetes, hoher Blutdruck, Nierenkrankheiten bei Verwandten, starkes Übergewicht und Rauchen. In diesen Fällen sind regelmässige, z.B. jährliche Messungen der Nierenwerte sinnvoll. Diese Messungen sind auch empfohlen, wenn sich obengenannte unspezifische Symptome neu bemerkbar machen.
Über Nierenleiden wird wenig gesprochen. Warum steht die Niere im Schatten der anderen Organe?
Weil die Nieren diskret sind und sich bei Nierenkrankheiten keine spektakulären Symptome zeigen. Auch eine fortgeschrittene Nierenkrankheit ist nicht so offensichtlich wie z.B. ein Herzinfarkt oder ein Hirnschlag. Kommt hinzu: Es besteht eine gewisse Zurückhaltung bei der Besprechung des etwas intim empfundenen Themas Urin. Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass Menschen mit einer tödlichen Einschränkung der Nierenfunktion durch Dialyse (Blutwäsche), oder besser, durch Nierentransplantation am Leben erhalten werden können.
Was könnten wir alle tun, um uns der Nierengesundheit bewusster zu sein?
«In der Schweiz wissen die meisten Menschen, dass ihr Blutdruck und ihr Blutzucker regelmässig kontrolliert werden sollten, da Bluthochdruck und Diabetes behandelt werden können und damit schwerwiegende gesundheitliche Folgen verhindert werden können.»
Gleichermassen sollte die Bevölkerung sowie Ärztinnen und Ärzte vermehrt daran denken, dass mit der Messung von Nierenwerten in Blut und Urin eine beginnende chronische Nierenkrankheit (CKD) entdeckt werden kann. Eine Frühdiagnose ist eben von grossem Nutzen, weil die Progression der Krankheit meistens sehr verlangsamt oder sogar gestoppt werden kann – und damit auch das Risiko einer später benötigten Nierenersatztherapie wie Dialyse oder Transplantation.
Welche präventiven Massnahmen können Menschen ergreifen, um ihre Nierengesundheit zu fördern?
Sicher sollte man die erwähnten Risikofaktoren wie Diabetes, hohen Blutdruck, Fettleibigkeit und Rauchen vermeiden oder behandeln. Ein nierengesundes Leben heisst also viel Bewegung, gesunde Ernährung mit viel Gemüse und Früchte, mässigem Fleischkonsum und möglichst wenig Fertiggerichten, Wurstwaren und Salz. Dazu gehört auch genügend zu trinken (1.5 bis 2 Liter Flüssigkeit / Tag, bzw. mehr, wenn man viel Wasser durch Schwitzen oder Durchfall verliert), aber dabei möglichst auf Softdrinks verzichten.
Welche Fortschritte wurden in der Erforschung und Behandlung von Nierenerkrankungen erzielt?
Die Forschung hat die Kenntnisse über Nierenkrankheiten stark erhöht und dadurch ermöglicht, bessere Behandlungen für viele spezifische Fälle zu entwickeln, insbesondere bei Krankheiten, bei denen das Immunsystem involviert ist. Ganz zentral für die meisten Menschen mit chronischer Nierenkrankheit sind die neuen Möglichkeiten, eine Abnahme der Nierenfunktion zu bremsen.
Das gelingt einerseits, indem man mit spezifischen Medikamenten den Blutdruck kontrolliert, und andererseits, indem man das Fortschreiten von Nierenschäden verringert. Auch neue Medikamente, die ursprünglich für die Bekämpfung von Diabetes entwickelt worden waren, haben sich als sehr effizient für den Schutz der Nierenfunktion gezeigt und werden jetzt zum Teil auch für Nierenpatientinnen und Nierenpatienten ohne Diabetes genutzt.
Welche Therapieoptionen gibt es für Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion?
Die oben genannten Massnahmen für ein nierengesundes Leben sind sehr wichtig. Bei weit fortgeschrittenen Nierenkrankheiten müssen zusätzliche Massnahmen und eine Anpassung der Diät mit dem behandelnden Nierenteam besprochen werden. Auch die Behandlung mit Medikamenten wird wichtiger. Reicht die verbleibende Funktion der Nieren für ein befriedigendes Leben nicht mehr aus – dabei ist die betroffene Person ansonsten in guter Verfassung – beginnt eine Nierenersatztherapie. Eine Option ist die Dialyse, bei der entweder eine Maschine oder das eigene Bauchfell Giftstoffe aus dem Blut filtert. Eine andere Art der Nierenersatztherapie ist die Transplantation.
Wie unterstützt die Schweizerische Nierenstiftung Menschen, die von Nierenerkrankungen betroffen sind?
Eines unserer zentralen Ziele ist es, die breite Bevölkerung über die lebenswichtigen Funktionen und Rollen der Nieren zu informieren und sie über Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung von Nierenkrankheiten aufzuklären. Für nierenkranke Patienten und ihre Angehörigen stellen wir Informationsmaterial zur Verfügung: So verteilen wir etwa an Spitäler, Dialysezentren, Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten eine Broschüre, welche die betroffenen Personen beim Entscheid für eine Nierenersatztherapie unterstützt. Eine neue Broschüre für nierenkranke Kinder und ihr Umfeld wiederum informiert altersübergreifend über die Funktionen der Nieren und den Umgang mit einer Nierenkrankheit.
Welche Projekte betreiben sie nebst der Aufklärung und Information?
Wir finanzieren jährlich mehrere wissenschaftliche Projekte zur Erforschung von Nierenkrankheiten, insbesondere in Hinsicht auf eine Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten von Nierenpatientinnen und Nierenpatienten.
Zusätzlich unterstützen wir eine Serie von Projekten, die wir unsere «Herzensprojekte» nennen, wie etwa mit unserem jährlichen Beitrag für die Durchführung eines Lagers für nierenkranke Kinder, eine tolle Sache!
Ein anderes aktuelles Beispiel ist eine Studie über das Problem der ungenügend unterstützten Transportkosten für Patientinnen und Patienten, die dreimal pro Woche in die Dialyse fahren müssen. Die von der Schweizerischen Nierenstiftung dazu beauftragte Arbeitsgruppe der Berner Fachhochschule Gesundheit hat diese Studie eben mit sehr interessanten Resultaten abgeschlossen. Wir hoffen, dass die Erkenntnisse dieser Studie einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Transportkostenproblems leisten werden.
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